Nichts dazugelernt? Militärschläge gegen den IS in Syrien und im Irak
Nun wird die Terrorgruppe des „Islamischen Staates“ (IS, vormals: ISIS) auch in Syrien unter Beschuss genommen. Am 22. September 2014 erklärte John Kirby, der Sprecher des Pentagons, dass die USA Luftschläge gegen IS-Stellungen in Syrien durchführen. Unterstützt werden sie dabei von einigen verbündeten Staaten, nämlich von Saudi-Arabien, Jordanien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain. Worin diese Unterstützung besteht, ist bisher nicht klar. Bis dato hatten die USA nur die IS-Milizen im Nordirak angegriffen, um die vom IS verfolgten Jesiden zu schützen. Während dies im Irak mit der Einwilligung der dortigen Regierung vonstatten ging, erfolgen die Luftschläge in Syrien ohne Absprache mit der Assad-Regierung. Diese werde im Vorfeld eines Angriffs lediglich informiert, so die USA. Da der Militäreinsatz zudem ohne UN-Mandat durchgeführt wird, sprach unter anderem Russland von einem klaren Völkerrechtsbruch der USA.
Auch Florian Rötzer bezeichnet die US-geführten Luftschläge in Syrien als einen völkerrechtswidrigen Krieg. Die USA versuchen jedoch – so Rötzer auf Telepolis – dies so gut als möglich zu kaschieren: Zum einen, in dem sie eine Koalition mit den oben genannten arabischen Staaten geschmiedet haben. Zum anderen, in dem sie mit der in Syrien lokalisierten „Chorasan“-Gruppe eine bis dato weitestgehend unbekannte Terrororganisation aus dem Hut zauberten, die als Weiterentwicklung einer al-Qaida-Zelle noch gefährlicher als der IS sein soll. Über die Konstruktion einer noch größeren Bedrohung für die Welt, die zudem in der Linie von al-Qaida stehe, versuche US-Präsident Barack Obama einen legalen Anschluss an die „Krieg gegen den Terror“-Ermächtigungen herzustellen, die nach den 9/11-Terroranschlägen beschlossen wurden. Gegen den IS, der von al-Qaida verstoßen wurde, hätten sich diese Anti-Terror-Erlasse wohl nicht so ohne Weiteres in Anschlag bringen lassen, so Rötzer.
Wenn man von der völkerrechtlichen Legalität des Einsatzes einmal ganz absieht: wie erfolgversprechend sind die Luftschläge gegen den IS in Syrien denn überhaupt? Juan Cole betont auf Informed Comment, dass bei den neuen Luftschlägen – etwa auf die nordsyrische Stadt ar-Raqqa – sicherlich auch viele Zivilisten, die nicht vor dem IS geflüchtet seien, getötet werden. Die IS-Kämpfer würden sich bei fortgesetzten Luftangriffen in Guerilla-Manier in die Straßen und Gassen der Stadt zurückziehen und so immer mehr zivile Opfer provozieren, die sie propagandistisch für sich nutzen könnten. Dass Luftschläge ohne Bodenunterstützung wenig zielführend seien, hätten die USA aus ihrer eigenen Vergangenheit – unter anderem im Irak – doch eigentlich wissen können, so Cole.
Clemens Wergin hält auf flatworld die Luftschläge gegen den IS für eine Verzweiflungstat Obamas. Irgendetwas hätte er angesichts der schlimmen Verbrechen der Terrormilizen eben tun müssen. Man hatte ihm zuhause bereits Führungsschwäche vorgeworfen. Doch die jetzigen Militärschläge könnten wohl nur das weitere Vorrücken des IS aufhalten, wirklich vertreiben oder zerschlagen ließen sich die IS-Kämpfer aus Irak und Syrien so nicht. Am Wahrscheinlichsten sei laut Wergin ein langer Abnutzungskampf. Aus der jüngeren historischen Beobachtung heraus ließe sich vermuten, dass demokratische Gesellschaften einen solchen Kampf in der Regel weniger gut aushalten könnten.
Mit Blick auf das derzeitige US-amerikanische Vorgehen im Irak (und in Syrien) sieht sich Peter van Buren auf Informed Comment mit einem äußerst unangenehmen Déjà-vu konfrontiert. All das Gerede und Argumentieren vom Niederringen oder Zurückdrängen des Bösen habe man schon so oft gehört. Nun kämpfe die USA den Irak-Krieg schon zum dritten Mal. Dennoch würden sie widersinnigerweise einen anderen, besseren Ausgang erwarten, wo doch wieder nichts als ein Scheitern zu erwarten sei. Im Irak gebe es nichts zu gewinnen, so van Buren, außer man steige (endlich) aus dem Spiel aus.
Was sagen eigentlich Syrier zu den Luftschlägen gegen den IS? Danny Postel hat auf dem Dissent-Blog Stimmen von syrischen Intellektuellen und Aktivisten gesammelt, die sich gegen das Assad-Regime stellen. Einhellig ist die Ablehnung des IS, doch damit geht nicht einfach eine Befürwortung der US-geführten Militärschläge einher. Vielmehr wird betont, dass es nötig gewesen wäre, frühzeitig eine Koalition gegen den IS und das Assad-Regime, das die Entwicklung des IS mitzuverantworten hätte, zu knüpfen. Dies versäumt zu haben könnte fatale Konsequenzen zeitigen: entweder würden die islamistischen Extremisten oder das verbrecherische Assad-Regime Auftrieb bekommen – oder sogar beide zugleich.
Hat man aus den vergangenen Fehlern also nichts hinzugelernt? In der Tat kommt einem Vieles, was jetzt wieder passiert, mehr als bekannt vor. Doch was wäre die Alternative? Einfach wegzuschauen und nicht zu handeln fällt schwer, wenn man die Bilder von der vom IS verübten brutalen Gewalttaten sieht oder die Geschichten derer hört, die vor dem IS geflüchtet sind. Frank Nordhausen hat auf seinem Blog Gruß vom Bosporus manche dieser Geschichten festgehalten und zeigt Bilder von den schwierigen Bedingungen in einem nordirakischen Flüchtlingslager. Miteinander ins Gespräch zu kommen, gemeinsam mit den auf verschiedene Art und Weise Betroffenen nach Lösungsansätzen zu suchen, könnte ein Ansatz sein, der langfristig hilft; der vielleicht auch verhindert, dass man alte Fehler immer wieder begeht. Denn das führt offenbar immer wieder dazu, dass man relativ unvermittelt zu Waffengewalt greifen muss, um diese Fehler notdürftig auszubessern.